2. Kapitel

 

Adam trat an die lange, glänzende schwarze Theke und schaute sich interessiert um. Der Club V, wie er genannt wurde, hatte sich in den vergangenen Monaten ein wenig herausgemacht: Nicht nur die Theke war neu, auch Tische und Stühle hatten einen neuen schwarzen Anstrich bekommen. Über der Bar befand sich wie immer der große, silbergerahmte Spiegel, doch nun hingen ähnliche Spiegel über den vier Torbögen, die vom Hauptraum zu den kleineren Nebenräumen führten. Adam nahm lächelnd auf einem Barhocker Platz.

Der unterirdische Vampirclub hatte in den letzten zwanzig Jahren ebenso oft das Dekor gewechselt wie die britische Regierung ihre Premierminister, aber der Besitzer war immer noch derselbe. Colin McPherson war vor dreihundert Jahren aus den schottischen Highlands nach Edinburgh gezogen, und so lange gab es diese Bar schon.

Mit seinen buschigen roten Haaren, den dicken roten Augenbrauen und dem Vollmondgesicht sah er aus wie eine schlankere, jüngere Version des ehrwürdigen alten Weihnachtsmanns.

»Schön, dich mal wieder hier zu sehen, Adam«, bemerkte Colin grinsend, während er mit einem weißen Geschirrtuch ein Glas polierte.

»Schön, dass du dir noch immer nicht zu schade bist, dich selbst hinter die Theke zu stellen, McPherson«, entgegnete Adam. »All diese glänzenden schwarzen Oberflächen, ich dachte schon, ich wäre in der falschen Kneipe gelandet.«

Colin zuckte mit den Schultern. Er nahm ein langstieliges Glas zur Hand und eine dunkelblaue Flasche aus dem Regal. »Das ganze Mahagoni ist mir langweilig geworden.

Außerdem hat es sich mit meiner Haarfarbe gebissen, verstehst du?«

Adam grinste. »Und all die Spiegel?«

»Ja, ja, schon gut! Sam plagt mich schon die ganze Zeit deswegen - er ist schlimmer als 'ne Ehefrau! Von wegen

›Bordell-Look‹! Die Spiegel kommen runter, und dann ist hoffentlich Ruhe!« Colin hatte das Glas mit einer rubinroten Flüssigkeit gefüllt und stellte es nun vor Adam hin.

»Da«, brummelte er, »der Erste geht aufs Haus.«

Adam nickte dankend und hob sein Glas.

»Seit wann gibt's hier Freiblut?«

Adam drehte sich um. Vor ihm stand sein alter Freund Cem und grinste von einem Ohr zum andern.

»Ach, das ist bloß ein kleiner Schuss, damit wir das Rugby-Derby auch ganz sicher gewinnen, stimmt's, Colin?«, meinte Adam, den Blick unverwandt auf seinen Freund gerichtet.

Cem setzte sich mit hochgezogener Braue auf einen Barhocker.

»Aye, ganz genau! Ich will schließlich nicht den Cup der Vier Clans an den Westclan verlieren, wäre ja noch schöner!« Colin zeigte mit dem Daumen in Cems Richtung.

»Und das bedeutet, der Professor hier kriegt auch einen aufs Haus!«

»Siehst du, kein Grund, neidisch zu werden«, neckte Adam seinen Freund.

Cem verdrehte die Augen. »Colin, das Gleiche wie der hier, bitte.«

»Kommt sofort.«

Adam legte seinem Freund die Hand auf die Schulter.

»Siehst gut aus.«

Und er sah tatsächlich gut aus ... anders, aber gut. Seine Erscheinung war die alte: dunkler Teint, leuchtend grüne Augen und eine stattliche Größe, die er von seinem Vater geerbt hatte. Cem sah trotz seines Alters von einhundertzweiundzwanzig keinen Tag älter aus als dreißig. Aber etwas an ihm war anders, grübelte Adam.

»Siehst auch nicht schlecht aus«, sagte Cem mit einem zögernden Lächeln. »Dein Job als Friedenshüter scheint dich fit zu halten. Ich wette, der Seebarsch wird beim morgigen Spiel ganz schön staunen.«

Adam runzelte die Stirn. Small Talk lag Cem gar nicht.

Was ging hier vor? Er musterte den Türken noch einmal gründlicher. Weißes Hemd, Jeans, grüner Pulli, Uhr mit Lederarmband ... alles ganz normal. Typisch Cem. Seine Haare waren ein wenig kürzer, ein wenig ordentlicher.

Und dann traf es ihn wie der Blitz: Seine Jeans war gebügelt! Wer bügelte denn heutzutage noch Jeans? Und sein Hemdkragen - war der gestärkt? Adam schnupperte; ja, es roch nach Stärke ... und nach Parfüm! Nicht zu süß, nicht zu herb. Eine Spur Tabak. Le Rouge von Boulgari, vermutete er.

Da war eine Frau im Spiel, Adam war sich sicher.

Aber wenn sie Cems Hemden stärkte und seine Jeans bügelte, musste es was Ernstes sein - und das war sehr überraschend. Cem nahm seine Arbeit als Hüter der Formel sehr ernst. Die Verbesserung der Formel war sein Lebensinhalt. Sein Ziel war es, sie so weit anzupassen, dass die Transformation weniger schmerzhaft war. Dazu noch sein Posten als Leitender Dozent an der Fakultät für Organische Chemie - er hatte keine Zeit für eine Beziehung.

Das hatte er in den letzten hundert Jahren zumindest immer behauptet. Warum also hatte er ihm nichts von dieser Frau erzählt?

»Wer ist sie, und wie lange wohnt ihr schon zusammen?«

Cem riss Augen und Mund auf, dann begann er zu lachen. »Weißt du, dass ich mir eine regelrechte Strategie zurechtgelegt hatte? Um es dir so schonend wie möglich beizubringen? Und jetzt schau dich an! Typisch Friedenshüter. Dein Scharfsinn sollte mich eigentlich nicht verwundern.«

»Wieso schonend beibringen? Was ist los?«, fragte Adam erschrocken.

Doch nun war es unübersehbar: Cem war verliebt.

»Sie bedeutet mir alles«, sagte er schlicht.

Sie bedeutet mir alles. Genau dasselbe hatte Adams Vater auch einmal zu Adam gesagt. Wenn ein Vampir seinen Lebenspartner findet, rückt alles andere in den Hintergrund.

Wahre Seelenpartner leben füreinander und sterben gemeinsam. So wie Adams Eltern. Wie Cems Eltern.

»Ich wusste immer, dass du mal sehr alt wirst«, sagte Adam.

»Wir beide gemeinsam, sie und ich«, sägte Cem entschlossen. »Der Verlust der Lebensfreude ist Vergangenheit. Wir alle können jetzt unseren Seelenpartner finden.

Vorher, als wir nur unter unserer eigenen Rasse wählen konnten, war es schwerer. Aber jetzt können wir uns auch mit Menschen vermählen.«

»Mit Menschen!«, rief Adam fassungslos. Er hatte gehört, dass manche Vampire menschliche Partner wählten, aber sein Freund konnte doch nicht etwa meinen, dass ...

Doch so schien es, Adam las es in Cems Miene. »Sie ist ein Mensch?«

»Ihr Name ist Victoria. Wir haben vor zwei Monaten geheiratet. Tut mir leid, dass ich dir nicht Bescheid sagen konnte, aber es ging alles so schnell. Sie hatte eine Heiratsphobie, und ich musste schnell handeln, damit sie es sich nicht anders überlegt. Du weißt, wie gern ich dich als Trauzeugen gehabt hätte.«

»Du bist verheiratet.«

Adam war wie vom Donner gerührt. Sein Freund war verheiratet. Mit einer menschlichen Frau!

»He, nun komm schon!« Cem wedelte mit seiner Hand vor Adams fassungslosem Gesicht herum. »Verstehst du jetzt, warum ich's dir schonend beibringen wollte?«

»Menschlich ...«, sagte er dümmlich; er fühlte sich im Moment alles andere als schlau. Hatte Cem denn gar nichts aus Helenas Fehlern gelernt? Eine Verbindung mit einem Menschen brachte doch nur Kummer und Schmerzen. Sie waren zu zerbrechlich. Zu sterblich.

»Ich bin so glücklich, Adam. Sie ...«, Cem rang nach den richtigen Worten.

»... bedeutet dir alles«, beendete Adam den Satz.

Es war zu spät. Zu spät für Warnungen. Sein Freund war verheiratet. Gebunden. Aber Mensch oder nicht, Victoria war nun mal Cems Frau, die wichtigste Person in seinem Leben. Es spielte keine Rolle, dass Adam das Ganze für einen schlimmen Fehler hielt. Es war geschehen. Und jetzt würde er dafür sorgen müssen, dass Victoria nichts zustieß.

»Und was jetzt?«, fragte er ironisch.

Cem schmunzelte, aber seine Augen blieben ernst. »Ich sehe, du machst dir Sorgen, Adam, aber das ist unnötig. Sie hat sich bereit erklärt, die Transformation zu vollziehen.«

»Sie will eine von uns werden?«, fragte Adam erleichtert. Ihm fiel ein Stein vom Herzen. Plötzlich war ihm Victoria gleich viel sympathischer. Cem und Victoria waren ein Ehepaar, da schien es nur logisch, dass auch sie Vampir werden wollte, um das lange Leben ihres Mannes zu teilen ... aber nicht alle Menschen sahen das so. Helenas Mann zum Beispiel hatte sich geweigert, so zu werden wie seine Frau.

Lord William Bruce hatte die Formel vor über hundert Jahren entdeckt, dennoch waren Transformationen auch heute noch sehr selten. Die Clanoberhäupter hatten ihre Anwendung erst genehmigt, nachdem entsprechende Gesetze ausgearbeitet worden waren. Man wollte vermeiden, dass Menschen gegen ihren Willen transformiert wurden, dass die Formel womöglich in die falschen Hände geriet.

Trotzdem gab es viele, die fanden, dass die Formel vernichtet werden sollte, aber die Oberhäupter hatten am Ende entschieden, Transformationen - unter strengen Auflagen - zuzulassen. Ein Vampir durfte in seinem langen Leben nur einen einzigen Menschen transformieren - um dem Verlust der Lebensfreude und damit einem möglichen Selbstmord entgegenzuwirken.

Und es schien zu funktionieren, zumindest bei einigen.

Aber die Bedingungen, unter denen die Transformation stattfand, hielten viele Menschen davon ab, sie am Ende zu vollziehen, selbst wenn eine Genehmigung vorlag. Vorschrift war der Besuch eines siebenwöchigen Seminars im House of Order, in dem der Bewerber Gesetze büffeln und die Geschichte der Vampire lernen musste. Und natürlich auch erfuhr, wie der Prozess der Transformation vonstatten ging.

Es gab am Ende viele Aussteiger. Die einen schreckten davor zurück, sich künftig von Blut ernähren zu müssen, die anderen wollten sich nicht den strengen Vampirgesetzen unterwerfen, aber die meisten fürchteten sich vor der Transformation selbst, einem äußerst schmerzhaften Prozess, der den Austausch von Blut erforderte. Jene, die es überstanden hatten, erzählten, es sei, als würde man bei lebendigem Leibe verbrannt werden.

»Sie wird eine von uns werden.« Cem nickte und leerte sein Glas. Seine Pupillen wurden einen Moment lang kohlschwarz, dann blinzelte er, und die Blutlust verging wieder. »Ich weiß, ich sollte mich freuen, aber, Adam, ich weiß nicht, wie ich es ertragen soll. Sie wird fürchterliche Schmerzen erleiden ... Wie kann ich das zulassen?«

Der erste Instinkt eines Vampirs war es, seinen Partner vor Schmerzen und Kummer jeder Art zu bewahren.

Adam wusste, so sehr Victoria auch leiden würde, für Cem würde es doppelt so schlimm werden - weil er nichts tun konnte, um ihr zu helfen.

»Es dauert ja nicht lange«, versuchte Adam seinen Freund zu beruhigen. »Und dann kannst du es dein Leben lang wiedergutmachen.«

Der Blick, mit dem Cem ihn nun ansah, bereitete Adam Unbehagen. Er kannte diesen Blick: das, was jetzt kam, würde ihm wahrscheinlich gar nicht gefallen.

»Du bist mein bester Freund«, begann Cem. »Meine Eltern sind tot. Meine Schwester ebenfalls. Ich vertraue keinem so wie dir.«

Adams Handflächen wurden feucht, und er merkte, wie nervös er auf einmal war. Das würde schlimmer werden, als er gedacht hatte. »Und du bist mein bester Freund, Cem.«

Cem nickte. »Gut. Dann hast du doch sicher nichts dagegen, dabei zu sein? Falls ich im wichtigsten Moment meines Lebens versagen sollte?«

»Was?!«

Cem packte Adams Arm und schaute ihn flehend an.

»Ich bitte dich, du musst dabei sein, wenn ich Victoria transformiere. Ich brauche dich, falls ...«

Bei der Transformation dabei sein? Wenn Cem ihre Schmerzen nicht länger ertragen konnte, musste Adam übernehmen, musste er ihr sein Blut zu trinken geben. Verdammt!. Jeder Instinkt, den Adam besaß, riet ihm, das Ganze abzulehnen, aber das brachte er einfach nicht übers Herz.

Er konnte nicht nein sagen. »Aber wenn ich ihr schon mein Blut geben soll, dann will ich sie wenigstens vorher kennen lernen«, sagte er schließlich mit einem schiefen Grinsen.

»Hmm«, murmelte Cem, »das haut mich doch ein bisschen um.«

Adam spähte über die Schulter seines Freundes und konnte ihm nur zustimmen. Was er bisher vom Haus gesehen hatte, war nicht ungewöhnlich für einen wohlhabenden Mann: herrliche alte Kamine, glänzende Möbel, dicke Teppiche, kostbare Gemälde und die typischen hohen Decken von Stadthäusern im Georgianischen Stil. Alles war tipptopp sauber, hell und elegant, aber dieses Zimmer hier ... Adam fand keine Worte. Auf dem langen Esstisch lag eine schwarze Tischdecke, darauf verteilt kleine Teelichter. Die hohen Fenster an der Schmalseite waren mit schwarzem Papier zugeklebt, urid auf den Sideboards standen Kerzenleuchter, in denen hohe Kerzen brannten.

»Wenn ich's nicht besser wüsste, ich würde sagen, du hast eine Hexe geheiratet«, sagte Adam grinsend. Er konnte nicht anders, Cem sah so komisch aus.

»Cem!«

Beide Männer fuhren herum und sahen eine kleine Frau in einem dünnen schwarzen Neglige auf sich zulaufen. Sie riss erschrocken den Mund auf, während ihr Blick zwischen dem zornigen Gesichtsausdruck ihres Mannes und Adams amüsierter Miene hin und her huschte.

»Victoria! Was hat das zu bedeuten?«

Cem riss seine Frau an sich und schlang schützend die Arme um sie, um ihren spärlichen Aufzug vor den Blicken des Freundes zu verbergen.

Adams Grinsen wurde noch breiter. Es war das erste Mal in über hundert Jahren, dass er seinen Freund so prüde erlebte.

Victorias Stimme klang gedämpft, da ihr Gesicht an die Brust ihres Mannes gedrückt war und es ihr trotz ihrer Bemühungen nicht gelang, den Kopf zu heben.

»Du hast nicht gesagt, dass du jemanden mitbringen willst. Lass mich los!«

Als Cem Adams hochgezogene Braue bemerkte, ließ er seine Frau widerwillig los. Er bedachte seinen Freund mit einem finsteren Blick, erlaubte es seiner Frau nun aber, sich umzudrehen.

»Doch, ich habe es dir gesagt, Victoria, aber du hast es wahrscheinlich vergessen«, antwortete Cem. Sie schien des öfteren etwas zu vergessen, wie sein Ton andeutete.

Sein zärtlicher Gesichtsausdruck verriet jedoch, dass ihm das nichts ausmachte. »Das ist Adam, mein ältester und bester Freund.«

Victorias Augen leuchteten auf, und Adam begriff, was Cem zu ihr hingezogen hatte. Es war ihr Lächeln, ihr offenes, warmes strahlendes Lächeln. Natürlich war sie eine Schönheit: himmelblaue Augen, blonde Locken. Aber Cem hatte viele schöne Frauen gekannt. Diese Offenheit jedoch fand man heutzutage nur noch selten. Die meisten Menschen - und Vampire - lernten schnell, ihre Gefühle zu verbergen.

»Ich habe schon so viel von dir gehört, Adam!«, rief sie, »wie schön, dich endlich kennen zu lernen!« Sie trat mit offenen Armen auf ihn zu, doch Cem riss sie hastig zurück.

»Victoria, solltest du dich nicht vielleicht vorher umziehen?«

»Was? Ach, i wo! Ich hab doch was drunter an! Schau mal!« Sie zog ihr Neglige auseinander und zeigte den Männern, was sich darunter befand: ein knappes schwarzes T-Shirt und Shorts.

Adam, der allmählich Mitleid mit seinem Freund bekam, trat einen Schritt vor, verneigte sich und nahm Victorias Hand. »Victoria, es ist mir ein Vergnügen, dich kennen zu lernen.«

Er beugte sich über ihre Hand und hauchte einen Kuss auf ihre Fingerspitzen. Als er sich wieder aufrichtete, sah er, dass ihre Wangen ganz rot geworden waren. Cem schaute ihn finster an, und Adam grinste. »Mach dir nichts aus Cem. Der ist bloß eifersüchtig.«

»Eifersüchtig?« Das schien Victoria regelrecht aus der Fassung zu bringen. »Aber auf wen denn?«

Cem räusperte sich. »Victoria, willst du mir nicht endlich sagen, was hier los ist? Unser Speisezimmer sieht aus, als wolltest du dort eine Seance abhalten!«

Victoria warf einen hastigen Blick den Gang entlang, als wäre ihr plötzlich etwas eingefallen, und meinte: »So etwas Ähnliches. Entschuldige, Schatz, ich hatte einfach keine Zeit, es dir vorher zu beichten, aber es geht um meine Schwester. Sie braucht mich.«

Adam nahm schnuppernd Witterung auf - ja, eine weitere Frau hielt sich im Haus auf, ein schwerer, blumiger Duft. Victorias Erklärungen hörte er währenddessen nur mit halbem Ohr.

»Willst du damit sagen, du hast einen ... einen Geisterjäger gerufen?«, stammelte Cem fassungslos.

»Geisterjägerin«, korrigierte Victoria ihn, »aber so nennt man das nicht. Sie selbst bezeichnet sich als Medium. Nun, soweit ich verstanden habe, ist sie so eine Art Exorzistin.

Ich weiß, es klingt komisch, aber Grace ist sicher, dass es hier spukt, und na ja ... da habe ich eben ...«

»Eine Geisterjägerin gerufen.« Cem seufzte.

Adam musste an seine Eltern denken und wie es zwischen ihnen gewesen war. James Murray war ein eindrucksvoller Mann gewesen, seiner Frau aber absolut ergeben. Es war klar, wer im Haus die Hosen angehabt hatte.

»Victoria, das ist doch lächerlich! Geister! Gespenster!

Liebes, ich bitte dich! Und wieso um diese Zeit? Hätte das nicht bis morgen warten können?« Cems Vorhaltungen wirkten hilflos - es war offensichtlich, dass er sich bereits geschlagen gegeben hatte und nur noch den Schein wahrte.

Victoria stemmte ihre Hände in die Hüften. »Dasselbe hätte ich vor drei Monaten über Vampire gesagt, Schatz.

Aber euch scheint es ja zu geben! Außerdem ist es noch gar nicht so spät.«

Ihr Blick fiel auf Adam, und da glättete sich ihre gerunzelte Stirn und wurde durch ein strahlendes Lächeln ersetzt. Doch dann sah sie die Uhr über seiner Schulter, und ein erschrockener Ausdruck huschte über ihr Gesicht.

»Schon fast neun! Sie wird jeden Moment da sein!

Schnell, Cem, du musst was Schwarzes anziehen! Wir müssen alle schwarze Kleidung anhaben. Das hat sie gesagt. Ach, ich muss Grace wecken, sie hat sich kurz hingelegt ...« Und sie eilte mit flatterndem schwarzem Neglige davon.

»Ein höchst ausdrucksvolles Gesicht«, bemerkte Adam.

»Sie hängt viel zu sehr an ihrer Schwester.«

»Darf ich daraus schließen, dass du nicht sonderlich begeistert von deiner neuen Schwägerin bist?«

Cem seufzte. »Victorias Eltern sind früh gestorben. Sie hat sich in den letzten fünfzehn Jahren um Grace gekümmert. Und jetzt scheint sie nicht mehr damit aufhören zu können, dabei ist Grace mittlerweile sechsundzwanzig. So, wie sie sich benimmt, könnte man meinen, sie ist nicht älter als zehn.«

Adam legte die Hand auf die Schulter seines Freundes. »Du musst Geduld haben, alter Freund. Es kann nicht leicht sein für Victoria, ihrer Schwester zu verheimlichen, was vor sich geht. Wahrscheinlich hat sie das Gefühl, sie zu hintergehen, weil sie sie belügen muss. Und das kompensiert sie jetzt mit Überfürsorge.«

»Ja, ich weiß. Aber, Mann, es ist verdammt schwer. Grace fällt von einer Krise in die andere, nur um Victorias Aufmerksamkeit zu erregen.«

Das klang, als ob Cem sich da einen hübschen Brocken angeheiratet hatte. »Na ja, hat keinen Zweck, sich jetzt darüber aufzuregen. Los, zieh dir was Schwarzes an. Ich bin ja zum Glück schon passend gekleidet. Sieht so aus, als würden wir gleich eine interessante Einführung in die Arbeit eines Exorzisten bekommen.«

 

Unsterblich 04 - Unsterblich wie der Morgen
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